Wenn es um Medizinprodukte geht, ist Biokompatibilität ein grosses Thema.
Biomaterialien, Werkstoffe und Medizinprodukte gelten im Allgemeinen als biokompatibel, wenn die Wirkung dieser Produkte sowohl im direkten als auch im indirekten Kontakt mit einem Organismus keine unerwünschten Nebenwirkungen und Reaktionen hervorruft.
Schliesslich werden medizinische Geräte direkt in unserem Körper verwendet und es ist entscheidend, dass sie sicher und effektiv sind, ohne uns krank zu machen oder zu verletze
Für viele Personen stellen sich weitere Fragen:
Was bedeutet dies im Konkreten? Sind alle unsere Medizinprodukte biokompatibel? Und wie weist man eine Biokompatibilität sicher nach?
In unserem Beitrag erhalten Sie alle wichtigen Informationen über die Biokompatibilität von Medizinprodukten!
Biokompatibilität-Definition nach ISO 10993
Die Internationale Organisation für Normung (ISO) definiert in der ISO 10993 den Begriff eines biologischen Risikos folgendermassen:
“Wahrscheinlichkeit von gesundheitlichen Schäden aufgrund des Medizinprodukts oder Wechselwirkungen mit den Materialien” Quelle: ISO 10993-1
Den Begriff der Biokompatibilität hingegen definiert die ISO wie folgt:
„Fähigkeit eines Medizinprodukts oder Materials, mit einer angemessenen Host-Reaktion Leistung in einer spezifischen Anwendung zu erbringen“
Quelle: ISO 10993-1
Unter dem Begriff “Host Reaktion” sind hierbei alle nachteiligen und nicht erwünschten Reaktionen inkludiert- Des Weiteren vermerkt die ISO, dass der Nachweis einer solchen Biokompatibilität durch verschiedene biologischen Prüfungen oder durch herauslösbaren Chemikalien überprüft und beurteilt werden kann.
Die Definition der ISO ist an dieser Stelle absichtlich offen gestaltet, denn ein starrer Prozess, nach dem ein Biokompatibilitäts-Nachweis erfasst werden kann, ist im Konkreten nicht möglich. Welcher Prüfumfang angemessen ist, hängt stark davon ab, um welches medizinische Produkt es geht und wie dieses zum Einsatz kommen soll. So ist es im Allgemeinen sinnvoll, für jedes Produkt eine individuelle Strategie zur biologischen Sicherheit zu erarbeiten.
Unterteilung der Biokompatibilität
Die Unterteilung der Biokompatibilität erfolgt im Allgemeinen in drei Begriffen: biotolerant, bioaktiv und bioinert. Diese Begriffe werden vor allem für die Unterteilung von medizinischen Implantaten verwendet und werden im Folgenden für Sie genauer definiert:
Biotolerant
Wenn ein Medizinprodukt als biotolerant bezeichnet wird, weist es kaum oder nur geringfügige unerwünschte Nebenreaktionen auf. In der Regel ist ein biotolerantes Medizinprodukt nicht für einen uneingeschränkten Kontakt mit Lebewesen geeignet.
Bioinert
Wenn ein Produkt als bioinert bezeichnet wird, ist im Idealfall keine Wechselwirkung zwischen dem Medizinprodukt und dem Organismus nachweisbar. Ganz ist dies jedoch nie zu erreichen, da im Allgemeinen immer eine Wechselwirkung zwischen Gewebe und Implantat zu beobachten ist.
Sofern jedoch die Wechselwirkung aus hinreichend gering gilt, sodass keine Grenzwerte überschritten werden, spricht man von einem bioinerten Werkstoff. Der Körper reagiert auf den Fremdkörper meist mit einer Bindegewebs-Verkapselung um das Material herum. Eine Abstossungsreaktion des Körpers findet jedoch nicht statt.
Bioaktiv
Bei bioaktiven Produkten sind speziell erwünschte Wechselwirkungen zwischen dem Fremdkörper und dem Organismus zu beobachten, die vor allem durch bestimmte Strukturen sowie biologische Signale gelenkt werden.
Bei gewissen medizinischen Anwendungsgebieten, wie beispielsweise Herzschrittmachern oder Herzklappen, sieht man hierbei das aktive Bestreben des Körpers, das Implantat bestimmte Aufgabenstellungen des Organismus vollständig übernehmen zu lassen. Gängige Werkstoffe, die als bioaktiv gelten, sind unter anderem Kohlenstoff, Keramik oder Gläser.
Biokompatibilitäts – Nachweis nach Norm
Die Prüfung und Bewertung der biologischen Verträglichkeit nach ISO 10993 stellen den Hauptbestandteil des Risikomanagements dar und sind entscheidend für eine Zulassung von neuen Medizinprodukten.
Der Prüfungsumfang richtet sich dabei generell nach der klinischen Anwendung- dies bedeutet, je nach Art des Körperkontakts und der Kontaktdauer mit dem jeweiligen Produkt. Das Gefährdungspotential der Medizinprodukte ist daraufhin anhand der Versuchsergebnisse zu definieren.
Im Allgemeinen gilt, dass auf die Biokompatibilitäts-Tests verzichtet werden kann, sofern bereits relevante Daten im Vorfeld als ausreichend erachtet werden können. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Medizinprodukt ein Äquivalent zu einem bereits zugelassenen und geprüften Medizinprodukt darstellt.
Nichtsdestotrotz können Testungen in manchen Fällen auch unabhängig von ISO 10993 notwendig sein, um die biologische Sicherheit eines Produktes zu gewährleisten.
Nach Abschluss der Biokompatibilitätsprüfung werden der konkrete Ablauf der Prüfung sowie die Ergebnisse in einem Biologischen Bewertungsplan (BEP) sowie in einem Biologischen Bewertung Report (BER) zusammengefasst.
Dauer eines Biokompatibilitäts-Nachweises
Die Prüfdauer eines medizinischen Produktes ist abhängig von der Art des Medizinproduktes, In der Regel gilt jedoch, dass circa 10 bis 15 Arbeitstage je Einzelprüfung zu beanstanden sind.
Bei der Irritationsprüfung nach DIN EN ISO 10993 ist eine Dauer von 4-6 Wochen Standard. Eine Terminbestätigung erhalten die Pharmazeuten in der Regel nach Eingang des Prüfmusters.
Welche Schwierigkeiten können bei einem Biokompatibilitäts-Nachweis auftreten?
Bei einem Biokompatibilitäts-Nachweis werden im Allgemeinen nicht nur die Materialien des Medizinproduktes überprüft. Vor allem die Rückstände, die während der Herstellung und Sterilisation des Produktes am Produkt haften bleiben können, stellen hierbei oftmals das grössere Problem dar. Diese Stoffe müssen identifiziert und gegebenenfalls beseitigt werden, um eine Biokompatibilität sicherzustellen.Des Weiteren gilt, dass es eine Vielzahl verschiedener Arten gibt, wie der menschliche Körper auf unverträgliches Material reagieren kann. Einige der Merkmale treten bereits kurz nach der Einnahme des Produktes auf und äussern sich in Unwohlsein oder Hautirritationen. Eine nachteilige Auswirkung auf den Hormonhaushalt und die Reproduktionsfähigkeit hingegen würde erst nach längerer Zeit sicher festgestellt werden können.
- Genotoxizität, Karzinogenität, Reproduktionstoxizität (nach ISO 10993-3)
Die Testung auf Genotoxizität, auch Ames-Test genannt, stellt ein etabliertes Verfahren zur Überprüfung des Mutations-Risikos eines medizinischen Produkts dar. Die Rück-Mutationsrate von speziellen Escherichia coli Stämmen gibt dabei Rückschlüsse auf die Mutagenität.
Man entnimmt dem Prüfungsobjekt einen Extrakt und führt diesen E.Coli zu, welche im Falle einer Mutation auf selektivem Agar wächst. Durch die Anzahl der koloniebildenden Einheiten ist ein Rückschluss auf den Grad der Mutation möglich. - Hämokompatibilität (nach ISO 10993-4)
Die Blutverträglichkeits-Bewertung eines medizinischen Produktes wird in vitro mit humanem Blut durchgeführt. Nachdem das Blut mit dem Prüfungsobjekt in Kontakt gekommen ist, wird es auf Veränderungen im Blutbild, wie unter anderem Thrombozyten und Leukozyten untersucht. Die Testung der Hämokompatibilität ist dabei sowohl mit Vollblut als auch mit Blutplasma möglich. - Zytotoxizität (nach ISO 10993-5)
Bei der Testung auf Zytotoxizität entnimmt man dem Prüfungsobjekt einen Extrakt, welche daraufhin Säugetierzellen zugeführt wird. Die optische Dichte sowie die Farbintensität des MTT-Tests gibt daraufhin Aufschluss über den Einfluss des Extrakts auf das Zellwachstum. Es gilt: Je niedriger die Dichte und je schwächer die Färbung, desto höher ist auch die Zytotoxizität. - Endotoxine/Pyrogenität (nach ISO 10993-11)
Endotoxine gelten als Teil der Zellmembran von gramnegativen Bakterien, die sich beim Absterben eines Organismus durch das Auflösen der Zellwände freisetzen. Diese gelten generell als sehr hitzestabil und lassen sich auch durch Sterilisation nicht entfernen.
Endotoxine sind den sogenannten Pyrogenen zugeordnet und der Kontakt mit ihnen kann bereits in geringster Konzentration bei Lebewesen zu Blutdruckabfall, Fieber-Reaktionen, Gerinnungsstörungen und lebensgefährdenden Schockzuständen führen.
Dementsprechend ist es bei Medizinprodukten unabdinglich, eine endotoxinfreie Herstellung der Produkte sicherzustellen. Für die quantitative Bestimmung erfolgt dabei unter anderem der sogenannte chromogen-kinetische Limulus Amöbozyten-Lysat-Test (auch LAL-Test genannt).
Biokompatibilitäts-Nachweis: Verzicht auf Tierversuche
Für die meisten klinischen Endpunkte, die bei dem Biokompatibilitäts-Nachweis untersucht werden, kann im Grunde für die Bewertung der Biokompatibilität ein Tierversuch durchgeführt werden. Je nach Anwendung und dem verwendeten Material des Produktes muss die Biokompatibilität jedoch nicht zwingend mittels Tierversuchen geprüft werden. Heutzutage gibt es eine Vielzahl geeigneter Möglichkeiten, die Endpunkte auch ganz ohne Tierversuche zu untersuchen.
Die ISO 10993-Reihe fordert an mehreren Stellen sogar dazu auf, zunächst eine Materialcharakterisierung und In-Vitro-Testung durchzuführen. Auf Tierversuche sollte demnach nur in den Fällen zurückgegriffen werden, in denen die gewonnenen Daten andernfalls nicht ausreichen sollten.
Biokompatibilitäts-Nachweis: Worauf Sie achten sollten
Bei der Biokompatibilitätsprüfung gibt es eine Vielzahl verschiedener Aspekte, die Sie beachten sollten. Im Folgenden nennen wir Ihnen die gängigsten Fehler, die es bei der Durchführung zu vermeiden gilt:
- Kein Bezug zwischen Produkt und Prüfmuster
Wenn Ihr Prüfmuster und das finale Medizinprodukt nicht identisch sind, muss aus einem sorgfältigen Prüfbericht hervorgehen können, in welchem Zusammenhang die beiden Exemplare stehen und ob es sich um ein identisch verarbeitetes Referenzmaterial oder eine repräsentative Probe handelt. Andernfalls ist die Prüfung nicht zulässig.
- Prüflabor ist nicht qualifiziert
Für den Marktzugang in Europa benötigen Sie ein Prüflabor, welches nach ISO 17025 akkreditiert ist. Bei Laboren ausserhalb von Europa ist in der Regel eine Akkreditierung nach Good Laboratory Practice (GLP) notwendig, um Biokompatibilitäts-Nachweise durchzuführen.
- Lebenszyklus des Produktes wird nicht berücksichtigt
Laut EU-Kommission und der aktuellen MDR (Medical Device Regulation) muss bei der Biokompatibilitätsprüfung der gesamte Lebenszyklus eines Produktes überprüft werden. Dies betrifft vor allem flüssige und viskose Produkte, wie beispielsweise medizinische Salben, die demnach vollumfänglich geprüft werden müssen.
- Mitarbeiter sind nicht qualifiziert genug
Es gilt, dass alle Mitarbeiter, die an der Erstellung einer toxikologischen Risikobewertung oder an dem Bericht zur biologischen Evaluation beitragen, nachweislich für die Aufgabe qualifiziert und offiziell geprüft sein müssen.
Kernanforderungen für Biokompatibilität – Sicherheit und Leistung
Die Biokompatibilität von Medizinprodukten ist eine essentielle Voraussetzung, um die Sicherheit und Gesundheit von Patienten, Anwendern und Dritten zu gewährleisten.
Obwohl der Begriff „Biokompatibilität“ im Anhang I der MDR nicht ausdrücklich erwähnt wird, legt der Text den Grundstein für das Verständnis und die Umsetzung der Biokompatibilität in der Produktentwicklung.
Der Anhang betont, dass Medizinprodukte so konzipiert, hergestellt und verpackt werden müssen, dass die Risiken durch Kontaminationen und Rückstände minimiert werden. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, dass Materialien und Produkte keine schädlichen Wechselwirkungen mit biologischen Systemen haben sollten.
Besondere Aufmerksamkeit wird der Exposition von Geweben gegenüber diesen Kontaminanten und Rückständen geschenkt, wobei die Dauer und Häufigkeit der Exposition berücksichtigt werden müssen.
Die Anforderungen spiegeln die Notwendigkeit wider, die Sicherheit und Gesundheit durch eine sichere Auslegung und Herstellung zu gewährleisten, wobei Risiken so weit wie möglich eliminiert oder minimiert werden sollen.
In dieser Hinsicht spielt die Biokompatibilität eine zentrale Rolle, da sie sicherstellt, dass Medizinprodukte keine unerwünschten Reaktionen im oder am menschlichen Körper verursachen. Durch die Erfüllung dieser grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen wird ein Rahmen geschaffen, der die Entwicklung sicherer und effektiver Medizinprodukte fördert, was letztendlich zum Schutz der Endbenutzer und zur Einhaltung regulatorischer Vorgaben beiträgt.
Technische Dokumentation und Biokompatibilität
Des Weiteren legt die MDR spezifische Richtlinien für die Technische Dokumentation von Medizinprodukten fest. Nach Anhang II der MDR müssen Hersteller sorgfältig alle durchgeführten Prüfungen und Untersuchungen dokumentieren, die die Biokompatibilität der Medizinprodukte belegen. Dies umfasst den vollständigen Testaufbau, die angewandten Protokolle und Methoden der Datenanalyse sowie detaillierte Testergebnisse.
Besondere Aufmerksamkeit wird der Identifizierung aller Materialien gewidmet, die direkt oder indirekt mit dem Patienten oder dem Benutzer in Kontakt kommen könnten, und umfasst ebenfalls die Analyse chemischer und mikrobiologischer Parameter.
In Fällen, in denen die Hersteller entscheiden, keine neuen Tests durchzuführen, müssen sie ihre Entscheidung innerhalb der technischen Dokumentation klar und präzise begründen. Eine gültige Begründung könnte sein, dass bereits Biokompatibilitätstests an Materialien, die in einem rechtmässig vermarkteten oder in Betrieb genommenen Vorläuferprodukt verwendet wurden, durchgeführt wurden. Dies stellt sicher, dass die Produkte, die auf den Markt kommen, sicher und effizient sind und die Gesundheit der Benutzer oder Patienten nicht gefährden.
Benannte Stellen und ihre Verantwortlichkeiten
Zuletzt verpflichtet die MDR auch die benannten Stellen, bestimmte Standards und Praktiken in Bezug auf die Biokompatibilität von Medizinprodukten einzuhalten, gemäss Anhang VII. Eine kritische Anforderung ist die Gewährleistung der Kompetenz ihres Personals in Bezug auf Biokompatibilität Aspekte.
Die benannten Stellen spielen eine entscheidende Rolle bei der Überprüfung der Verfahren der Hersteller und müssen sicherstellen, dass die Hersteller kontinuierlich auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Forschungen, insbesondere im Bereich der Biokompatibilität von Materialien, bleiben.
Somit müssen die genannten Stellen aktiv die Methoden und Prozesse der Hersteller überprüfen, um sicherzustellen, dass diese auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und Technik in Bezug auf Biokompatibilität bleiben.
Dies dient dazu, das höchste Mass an Sicherheit und Effizienz der Medizinprodukte zu gewährleisten, die auf dem Markt erhältlich sind, und sicherzustellen, dass sie die vorgegebenen Normen und Regelungen erfüllen, um die Sicherheit und das Wohlbefinden der Patienten und Benutzer nicht zu beeinträchtigen.
Wir lassen Sie nicht allein!
Wenn Sie Fragen zu dem Biokompatibilitäts-Nachweis eines medizinischen Werkstoffs, Implantats oder Produkt haben und sich unsicher sind, welche Rückstände als besonders schädlich gelten, helfen wir Ihnen gerne weiter.
Unsere Experten kennen alle regulatorischen Anforderungen der wichtigsten Märkte für medizinische Stoffe, Produkte und Implantate. Auf diese Weise können Sie sicher sein, dass Ihr Medizinprodukt nach allen aktuellen Normen der ISO und MDR sicher geprüft und bewertet wird!